Schweiz – Sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945
Allgemeiner Gesamtüberblick:
Eine –von wem auch immer publizierte- Gesamtstatistik aller in der Schweiz jährlich produzierten Schlepper, Ackerschlepper oder Zugmaschinen kenne ich nicht.
Ich habe –soweit bekannt- die Zahl der jährlich in den einzelnen Werken gefertigten Traktoren (Ackerschlepper) –ohne Bodenfräsen, Seilwinden und Motormäher – addiert und komme so auf etwas über 7.000 von 1919 bis 1945 produzierte Schlepper; es mögen zuzüglich der Produktion der Werke mit mir unbekannt gebliebenen Stückzahlen (deren bedeutendste war wohl MOTRAC mit vielleicht insgesamt 500 Stück) möglicherweise 10 Prozent mehr gewesen sein.
Es fällt auf, daß in der Schweiz zwischen 1919 und 1945 eine ungeheure Vielzahl von Traktorfirmen entstand, die alle Ackerschlepper – üblicherweise mit Fremdmotoren- herstellten und spätestens in den Fünfzigerjahren wieder verschwanden.
Zwei größere Firmen – Bührer und Hürlimann- fallen hier etwas aus dem Rahmen, aber auch sie produzierten im Vergleich zum Ausland recht bescheidene Stückzahlen.
Ich führe die Existenz dieser Vielzahl von Kleinstfirmen darauf zurück, daß die Schweiz durch ihre Gebirgsketten stark in kleine Einzelregionen und damit kleinste Wirtschaftsräume zergliedert ist. Wenn ein Bauer sein Pferdefuhrwerk durch einen Traktor ersetzen wollte, ging er zur Dorfschmiede oder der neu entstandenen Automobilwerkstätte in seinem Tal, die er schon immer aufgesucht hatte: Dort ließ sich ein Traktor ohne weiteres herstellen: Ein Rahmen –wenn benötigt- ließ sich leicht zusammenschweißen, und die sonstigen Teile wie Motor, Getriebe, Achsen, Bremsen, Lenkung usw. konnte man von Zulieferern beziehen oder aus Altautos ausbauen. Die geringe Geschwindigkeit des Traktors führte auch bei möglichen Mängeln in der Mechanik nicht zu allzu dramatischen Folgen. Das System bot zudem den Vorzug, daß der Kunde seinen Traktor genau nach Wunsch erhielt. Auch in Deutschland gab es derartige versierte Dorfschmiede oder Autoreparaturwerkstätten wie beispielsweise Granich in Schaftlach, Sulzer in Harthausen oder Tittmann in Fraureuth.
Besonders häufig scheinen sich Vertretungen amerikanischer Marken derart hervorgetan zu haben: Motoren des Ford A oder Chevrolet Sechszylinder wurden besonders häufig verwendet: Diese Motoren waren langlebig und robust, amerikanische Autos waren in der Zwischenkriegszeit erheblich weiter verbreitet als heute, da sie gegenüber europäischen häufig unschlagbar preiswert waren und ohnehin nur eine gehobene Käuferschicht sich ein Automobil leisten konnte. Erst in der Nachkriegszeit, als auch ärmere Volksschichten sich ein Auto kaufen konnten, verdrängten die nicht nur preiswerteren, sondern auch wendigeren und vor allem sparsameren europäischen Klein- und Mittelklassewagen allmählich die amerikanische Konkurrenz aus dem Straßenbild.
Neben solchen Herstellern neuer Traktoren gab es in der Schweiz Firmen, die die Teile für ihre Traktoren aus ausgeschlachteten anderen Autos gewannen: Hier liegt indessen keine originäre Neu-Produktion vor, ich habe diese Firmen zwar erwähnt, indessen lediglich den Produktionszeitraum gekennzeichnet und keinerlei Produktionszahlen genannt.
In vielen Fällen lautet die Angabe: „Von… bis… wurden x Traktoren gefertigt.“ Ich habe sodann den Jahresdurchschnitt errechnet und diesen als Jahresproduktion angenommen: Dieses Verfahren erschien mir zulässig: In der hier einschlägigen Zeit, insbes. 1935 – 45 sind irgendwelche besonderen Höhe oder Tiefe im Traktorenbau auslösenden Fakten nicht bekannt – auch der Kriegsausbruch hatte eigentlich auf die Fertigung von Ackerschleppern keinen Einfluß, wie der Vergleich mit anderen Ländern (USA, Großbritannien, Deutschland) belegt. Die Traktorenproduktion wird also relativ gleichmäßig auch bei allen Schweizer Firmen verlaufen sein.
Hier aufgeführt sind auch zwei Firmen, die ihren Sitz im Fürstentum Liechtenstein hatten: Elkuch und Kaiser. Nachdem diese beiden Firmen jedoch nur Teile für ihre Traktoren aus ausgeschlachteten anderen Autos gewannen, liegt hier keine originäre Neu-Produktion vor, und diese Firmen verzerren daher die Gesamtzahl der in der Schweiz neu gefertigten Traktoren nicht.
Literatur: Siehe Schweiz, Einführung. Spezielle Literatur zur Geschichte einzelner Marken findet sich in der Spalte „Bemerkungen“.
Schweiz, sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945, Tabelle
Die einzelnen Traktorfabriken:
Aebi, Burgdorf, BE: Seit etwa 1915 Haupthersteller von Mähwerken und Motormähern. Zwar wären auch Motormäher hier grundsätzlich aufzuführen, über deren Typen, Fertigungszeiten und Produktionszahlen bei Aebi liegen mir indessen keine Angaben vor. Aebi fertigte daneben zwischendurch auch einige wenige „richtige“ Traktoren.
Bächli, Würenlingen, AG; Schlepper 1940-50, individuelle Einzelanfertigungen, durchschnittlich ein Traktor pro Jahr.
Berna. Olten: Hauptgeschäft war die Herstellung von LKW. Daneben gab es einige von Fall zu Fall aus LKW abgeleitete Zugmaschinen in unbekannter Zahl.
Bircher, Solothurn : Schlepper 1926 bis 1947, erst mit Citroen- oder Peugeot-, ab 1939 mit Chevrolet-Motor, durchschnittlich 3 bis 5 Traktoren/Jahr.
Boudry, (Boudry, NE): Schlepper ab 1940 bis 1950, Motor Chevrolet, Anzahl unbekannt.
Bösch,Nürensdorf, ZH; Schlepper ab 1929 bis 1946, individuelle Einzelanfertigungen, durchschnittlich 2 bis 3 Traktoren pro Jahr.
Broncincevic: Siehe MOTRAC
Bührer, Lohn, SH: Schlepper 1932 bis 1949, individuelle Einzelanfertigungen, Ford B-Motor, durchschnittlich 2 bis 3 Traktoren pro Jahr.
Bührer, Hinwil: Neben Hürlimann die größte Schweizer Fabrik für Traktoren vor 1945. Fertigung von Ackerschleppern ab 1928. Zunächst immer Ford-Motoren, irgendwann erfolgte auch die Lizenzfertigung dieser Motoren bei Bührer, ab 1943 gab es auch Dieselmotoren eigener Entwicklung. Von 1928 bis 1939 ca. 1.000 Schlepper gefertigt, bei Unterstellung einer allmählichen Steigerung der Produktion entsteht die beigefügte Produktionskurve. Von 1940 bis 1946 (oder 1948?) weitere ca.2.060 Schlepper, was eine Stagnation in der Kriegszeit bei etwa 250 Traktoren pro Jahr bedeutet – eine derartige Stagnation gab es allgemein auch in anderen Ländern.
Eckert, Leibstadt AG: Schlepper 1935 bis 1948, durchschnittlich 1 Traktor pro Jahr.
Schweiz, sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945, Tabelle
FBW (Franz Broncinzevic Wetzikon): Die auf den Bau von LKW mit Sonderaufbauten spezialisierte Firma fertigte 1919-21 insgesamt 5 Zugmaschinen. In den Dreißigerjahren stieg die Firma nochmals ins Traktorengeschäft ein, hierzu siehe MOTRAC.
Flammer, anterschwil, SG: 10 Schlepper ab 1938-41, Motor Willys.
Franz Broncincevic: Siehe MOTRAC
Grunder, Basel: Die Firma stellte ab ca.1917 die Motorfräse Meyenburg in Lizenz in unbekannten Stückzahlen her, hinzu kamen ab etwa 1920 Motormäher. Ab 1937 stieg die Firma ins Traktorengeschäft ein und baute Ackerschlepper mit Fremdmotoren: Produktion bis 1961 ca. 1.400 Schlepper, im Schnitt also etwa 50 pro Jahr.
Hümberli, Benzenschwil, AG Schlepper ab 1935 mit Ford-Motor, durchschnittlich 1 Traktor pro Jahr.
Hürlimann, Will b. St.Gallen: Neben Bührer die größte Schweizer Fabrik für Traktoren vor 1945. Fertigung von Ackerschleppern ab 1929. Fremdmotoren, ab 1931 aber bereits Schweizer Motorhersteller (Zürcher, später Saurer). Die sehr detailliert beschriebene Produktion der einzelnen Modelle ergibt die festgestellte Gesamtkurve.
Käppeli, Wöhlen, AG: Ackerschlepper 1938 bis 1940: Lizenzbau des deutschen „Kramer Allesschaffer“, 10 Traktoren.
Kunz, Dietikon, ZH: Ackerschlepper ab 1932. Zunächst die Modelle „Flottweg“ und „Rekord“ mit gebrauchten Motoren, etwa 1 Traktor pro Jahr. Ab 1939 bis 1948 jährlich 15 bis 20 Schlepper des Typs KC-6 und KD-6 mit neuen amerikanischen Motoren (Chevrolet, Dodge, Buick u.a.).
Kupferschmied, Grenchen, SO: Schlepper ab 1938 mit Opel-Motor, durchschnittlich 2 Traktoren pro Jahr.
Lang, Güttingen, TG: Schlepper ab 1931 meist mit Chevrolet-Motor, durchschnittlich 1 Traktor pro Jahr.
Schweiz, sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945, Tabelle
Marbach, Ettiswil, LU: Schlepper ab 1935 mit verschiedenen Motoren amerikanischer Provenienz, durchschnittlich 2 Traktoren pro Jahr.
Martin, Perroy, VD: Ab 1930 Herstellung von (auf Dreiradfahrgestellen montierten) selbstfahrenden Motor-Seilwinden: Auf Steilhängen war häufig die einzige Möglichkeit der Befahrung , ein an einem Motorfahrzeug befindliches Seil abzurollen, es um einen oben am Berg stehenden Baum oder Felsblock zu schlingen und daran das Fahrzeug sich hinaufzuziehen zu lassen: So konnten am Hang erforderliche Arbeiten durchgeführt werden. Derartige Motor-Seilwinden stellte Martin her. Leider liegen über Modelle, Produktionszahlen und Herstellungszeiten keine Informationen vor.
Meiers Erben, Berlikon, AG: 1935 bis 1939: Ca. 20 Traktoren mit Ford B- Motor. 1942 bis 1949: Ca. 20 Schlepper mit verschiedenen amerikanischen Motoren.
Meili, Schaffhausen: Schlepper ab 1933 oder 1934 mit verschiedenen Motoren amerikanischer Provenienz in unbekannter Stückzahl. Ab 1940 ca. 80 Schlepper mit Holzgas-Generator, Motor unbekannt.
Merz, Frauenfeld, TG: Ford-Händler, Schlepper ab 1940 bis 1945 mit Ford-B-Motor, insgesamt ca. 50 Traktoren.
Mommendy, Rapperswil, SG: ab 1938 verschiedene Versuchsfahrzeuge eines Raupenschleppers, keine Serienproduktion.
MOTRAC: Von Franz Broncincevic entwickelter Kleintraktor und Motormäher mit Vierradantrieb. Serie ab 1935 bis etwa 1937 bis 1939.Ferner ab 1940 Schlepper mit amerikanischen PKW-Motoren. Anzahl unbekannt, konkrete Bauzeiten unbekannt, Modellaufzählung möglicherweise unvollständig.
Müller, Romanshorn, TG: Schlepper ab 1930 mit Citroen-Motoren, durchschnittlich 2 Traktoren pro Jahr.
Murianer, Muri, AG: Schlepper ab 1937 mit Ford-A-Motoren. Insgesamt knapp 100 Traktoren (alle Typen). 1941 Konkurs. Weiterbau durch Willy, Luzern (siehe dort).
Neuhaus, Beinwil b. Muri, AG: Treckerbau ab 1928 in geringem Umfang, Antrieb durch gebrauchte Ford-Motoren. Ab 1937 verschiedene Ackerschlepper-Typen meist mit Ford-A-Motor, durchschnittlich etwa 10 pro Jahr.
Schweiz, sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945, Tabelle
Rapid, Dietikon, ZH: ab 1924 einachsige Motormäher, ab 1928 Einachsschlepper. Anzahl und Modelle unbekannt.
Reusser, Oberwinterthur ZH: Schlepper ab 1934 bis 1945 mit Ford-A-Motoren, durchschnittlich 5 bis 10 Traktoren pro Jahr.
Rohrer, Kirchlindach, BE: Schlepper ab 1934 mit Ford-A-Motor, durchschnittlich 2 bis 4 Traktoren pro Jahr.
Rüegg,, Uster ZH: Kleinstschlepper 1927 bis 1933 mit Motosacoche-Motoren, insgesamt 60 Traktoren, im Schnitt also etwa 10 Schlepper pro Jahr.
Scheuchzer, Renens/Lausanne,VD: Raupenschlepper mit Motoren von Berna, Produktion von 1919 bis 1930, einschließlich Prototypen 14 Schlepper, im Schnitt also 1 Traktor pro Jahr.
Seitz, Berneck SG: Kleiner Schlepper ab 1938 bis 1944 mit 10 PS Basco-Motor, durchschnittlich 2 Traktoren pro Jahr.
SIMAR (Société Industrielle de Machines Agricoles Rotatives): Ab 1927 Bau von Bodenfräsen. zunächst durchschnittlich etwa 500 Bodenfräsen pro Jahr, ab 1933 ansteigend auf über 1.000 Stück pro Jahr.
SLM (Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik), Winterthur: Kleinschlepper 1932 bis 1953 mit Motosacoche-Motoren, meist Dreiradschlepper, insgesamt 474 Traktoren, im Schnitt also etwa 20 Schlepper pro Jahr.
Vevey, Vevey: Auch einer der größeren Schweizer Traktorenfabriken. Fertigung von Traktoren 1937 bis 1963. Zunächst mit aus Nordfrankreich stammendem CLM-Zweizylinder-Gegenkolben-Dieselmotor (Lizenz Junkers), 1941 bis 1944 mit Holzgas betriebenen Ford- und Buick(?)-Motoren, ab 1944 mit Saurer Dieselmotor. Jährliche Produktion von Traktoren etwa in den angegebenen Stückzahlen.
Willy, Luzern: Baute ab 1942 aus den Teilen, die man aus der Konkursmasse von Murianer (s.o.) erworben hatte, etwa 10 Schlepper jährlich zusammen. Motorhersteller ungenannt.
Schweiz, sonstige Kraftfahrzeuge 1919 – 1945, Tabelle