Historische Einführung zur Frühgeschichte des Automobilbaus

1.) Einleitung
2.) Keine Serienfertigung
3.) Karosserie- und Motorenbau
4.) Mängel des Automobils
5.) Akzeptanz des Automobils
6.) Besonderheiten in den USA
7.)Lastkraftwagen
8-)Gesamtproduktion bis 1914

 

1.) Einleitung:

Die frühe Zeit der Automobilproduktion – die ich mit dem Ende des ersten Weltkriegs enden lasse- ist für uns heute bereits in so weite Vergangenheit gerückt, daß hier vorab eine kurze historische Einführung in die allgemeinen Zeitumstände erforderlich erscheint, zumal Zeitzeugen, die dem Interessierten Auskunft erteilen könnten, nicht mehr leben.

Keine Serienfertigung:

In der Frühzeit des Automobils – also bis etwa 1900 – gab es keine oder kaum Serienfertigung, also keinen Prototyp, nach dessen Muster dann eine ganze Serie von beliebig vielen immer gleichen Automobilen hergestellt wurde. Jedes Auto wurde (ähnlich, wie dies heute noch beim Hausbau die Regel ist) nach speziellen Kundenwünschen gefertigt: „Möchten Sie vielleicht eine um 5mm vergrößerte Bohrung? Oder soll das Chassis für Sie etwas länger sein, damit die Frau Gemahlin im Fond besser Platz nehmen kann?“ Selbst scheinbar identische Teile waren gleichwohl derart unterschiedlich, daß auch bei gleichen Zylindermaßen Kolben nicht etwa einfach ausgetauscht werden konnten, sondern jeweils individuell einzupassen waren – dazu waren die Toleranzen bei der Herstellung einfach noch zu hoch. Erst im Laufe der Zeit ab etwa 1905 gelang es allmählich in einem bis etwa 1920 dauernden Prozeß, die Einzelteile eines Autos derart identisch zu bauen, daß sie gegeneinander austauschbar waren. Was für einzelne Stücke galt, galt erst recht für verschiedene Werke: Einheitliche Normen, nach denen Reifen, Zündkerzen, ja selbst Schrauben gefertigt wurden, gab es nicht: Jedes Werk schnitt seine Schrauben mit dem Gewinde und dem Kopf, der ihm gerade zusagte. So geschah es im ersten Weltkrieg, daß Rohre von Geschützen nicht beliebig austauschbar waren, weil Hersteller A Schrauben mit anderem Gewinde als Hersteller B verwendete. Dies war Geburtsstunde der Deutschen Industrie-Norm (DIN), in anderen Staaten gab es zur gleichen Zeit parallele Entwicklungen. Das Bedürfnis, derartige Teile für eine Vielzahl von Firmen innerhalb eines Staates zu normen, wurde in den Zwanziger- und Dreißigerjahren immer weiter fortgeführt und verfeinert und damit Austauschbarkeit gesichert.

Das wohl schönste überlieferte Beispiel, wie Automobilfirmen zunächst Einzelstücke herstellten, um dann später immer größere Serien zu bauen, bietet die Firma Panhard (Frankreich), deren Modelle und ihre Produktionsdauer und –anzahl durch das Buch von Vermeylen optimal aufgearbeitet sind.

Es gab Firmen, die nie einen Serienbau aufnahmen, sondern bis zu ihrem Ende Wagen nur auf Bestellung und ganz individuell nach Kundenwunsch zurechtschneiderten. Vor allem im Nutzfahrzeugbereich gibt es solche Firmen auch noch heute.

Mit zunehmender Konkurrenz mußten die Automobilhersteller aber auch Werbung entfalten: Sie mußten Annoncen in Fachzeitschriften schalten und Kataloge drucken, in denen sie ihre Produkte offerierten. Die Firmenunterlagen vieler –vor allem kleiner- Hersteller sind heute verschwunden: In Kriegen zerbombt, häufig auch –wie generell alte Betriebsunterlagen – einfach weggeworfen. Die gebauten Automobile selber sind üblicherweise längst verschrottet, jegliche Augenzeugen längst gestorben. Die Annoncen und manche Kataloge sind das Einzige, was von diesen Firmen geblieben ist: Die Zeitschriften sind in Bibliotheken gesammelt, die Kataloge vom einen oder anderen Interessierten aufgehoben worden. Technische Daten, die in diesen Annoncen nicht zu finden sind, sind unwiederbringlich verloren. Verloren sind auch die Zahl und die genaue Dauer der Produktion eines Typs, selbst wenn dies durch das Erscheinungsjahr der Zeitschriftannonce halbwegs eingegrenzt werden kann. Völlig offen bleibt schließlich, ob ein irgendwo angepriesener und meist nur in Zeichnung abgebildeter Typ –und sei es nur in einem einzigen Exemplar- überhaupt gebaut wurde: Bei manchen kleineren Firmen, die aber eine Vielzahl von Typen anboten, ist dies zweifelhaft. Und es gab in dieser Frühzeit Firmen, die durch Automobilbau Geld verdienen wollten, hierzu ein Auto in Fachzeitschriften anpriesen, aber nie ein einzelnes Exemplar bauten, weil ihnen dazu das Geld fehlte: Dies alles ist aber heute –wenn nur noch die Annonce als Dokument vorhanden ist- nicht mehr nachweisbar.

3.) Karosserie- und Motorenbau:

Neben dem Automobilbauer gab es als besonderes Gewerk den Karosseriebauer, der auf das vom Automobilbauer nebst Motor und Kühlermaske gelieferte Chassis –wieder individuell nach Kundenwunsch- eine Karosserie aufsetzte. Prinzipiell gleiche Typen einer Automobilmarke können daher üblicherweise nur an einer identischen Kühlermaske äußerlich erkannt werden. Ebenso schritt keine technische Überwachungsstelle ein, wenn ein Automobilbesitzer später auf die Idee kam, die Karosserie seines Automobils zu ändern und einer neuen Nutzung anzupassen und dazu entweder selbst Hand anlegte oder irgendeinen Handwerksbetrieb damit beauftragte.

Neben den Karosseriebauern gab es Firmen, die sich auf die Herstellung von Einbaumotoren spezialisierten: In Frankreich De-Dion, Aster, später Chapuis-Dornier und Ruby, in Deutschland Fafnir, Steudel, später DKW, ILO und Rinne, in England Meadows, Coventry-Climax und Blackburne. Sie spezialisierten sich in den Zwanzigerjahren häufig auf kleine Motoren und fanden ihre Abnehmer in Kleinstbetrieben („Hinterhofwerkstätten“), die unter Verwendung solcher Einbaumotoren, kombiniert mit Motorrad- oder Fahrradteilen, Dreirad-Lieferwagen und auch Kleinautos, insbesondere „Cyclecars“ herstellten. Es gab auch in den Zwanzigerjahren Bastelanleitungen, wie man unter Verwendung derartiger Motoren und Getriebe und eines beim Dorfschmied geschweißten Rahmens sich selbst unter Zuhilfenahme von Sperrholz ein Automobil bauen konnte: Wieviele solcher Bastelautos damals entstanden sind, ist heute nicht mehr zu klären.

4.) Mängel des Automobils

Das Automobil der Frühzeit war technisch nicht ausgereift, ungeheuer anfällig und dementsprechend wartungsintensiv. Wartungsintervalle, die wir heute nach Zehntausenden von Kilometern bemessen, betrugen damals nur wenige hundert Kilometer. Unter Wartung wurde dabei nicht nur Öl- und Zündkerzenwechsel, sondern Abschmieren des gesamten Wagens, unter Umständen sogar Prüfung und Zerlegung aller mechanischen Teile einschließlich Motor und Getriebe verstanden. Die schlechten Straßen –in günstigen Fällen mit Kopfsteinpflaster, sonst mehr oder weniger ausgefahrene Sandwege und Schotterpisten- trugen das Ihre dazu bei, das Automobil besonderem Verschleiß auszusetzen.  So warb um das Jahr 1910 die Firma Continental damit, ihr Reifen halte garantiert zweitausend Kilometer (!), eine uns heute geradezu lächerlich erscheinende Strecke.

Dementsprechend brauchte man zur Wartung des Automobils gesondertes Personal: Einen Chauffeur, der praktischerweise auch gleich die Bedienung dieses Wagens übernahm. Das war nichts Ungewöhnliches: Auch für den Vorgänger des Automobils –das Pferd- hatte man entsprechendes Wartungspersonal –Pferdeknechte und Kutscher- benötigt.

Automobiltypen wurden, weil unausgereift und verbesserungsbedürftig, auch nur kurzzeitig –etwa ein bis zwei Jahre lang- gebaut, dann löste ein verbessertes Nachfolgemodell den Vorgänger ab. Eine gewisse Typenkonstanz ist (wenn man von den USA absieht) erst allmählich,  beginnend ab den Zwanzigerjahren, festzustellen. In den Dreißigerjahren gelang es schließlich, derart ausgereifte Modelle herzustellen, daß  die um etwa 1935 entwickelten Motoren mit nur unbedeutenden Änderungen von den großen Firmen häufig bis weit in die Sechzigerjahre hinein gebaut wurden.

Automobile der Frühzeit verursachten ungeheuren Lärm: Autobesitzer berichten, daß ihre Autos „meilenweit“ zu hören waren: Sie müssen also ein Motorgeräusch gemacht haben, wie wir es heute vielleicht noch vom Lanz Bulldog kennen, den der eine oder andere von uns noch beim Faschingsumzug erleben darf. Ich selber konnte als Kind in den Fünfzigerjahren noch die damals gängigen Autotypen alle ausschließlich an ihrem Motorgeräusch unterscheiden, ohne sie zu sehen – heute wäre dies völlig ausgeschlossen. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn Pferde ob diesen ungewohnten Lärmes scheu wurden und Menschen deswegen den Verursachern dieses störenden Lärmes feindlich gesinnt waren: Es war also nicht Engstirnig- und Rückständigkeit „Ewiggestriger“, sondern Empörung über die wirklich mit dem Automobil einhergehenden Lärmbelästigungen, die viele Menschen gegen das Automobil aufbrachte. Wer hierüber heute den Kopf schüttelt, sei auf die endlosen Diskussionen verwiesen, die entbrennen, wenn irgendwo etwas neu entstehen soll, was vielleicht auch Geräusche oder sonstige Emissionen verursachen könnte.

5.) Akzeptanz des Automobils:

Falsch ist es indessen, nur die Obrigkeit, insbesondere die jeweiligen Monarchen, als damalige Gegner des Automobils hinzustellen. Richtig war, daß dort zunächst bei Erfindung des Automobils eine gewisse Skepsis vorherrschte. Dies ist nichts Ungewöhnliches und auch durchaus richtig: Viele Erfindungen, die gemacht werden, sind praktisch nicht verwertbar und daher bald überholt. Wer erinnert sich heute noch an „Bildschirmtext“, kurz „BTX“ genannt? Alle, die Anfang der Achzigerjahre für dieses neue Medium schwärmten, mußten sich eines Besseren belehren lassen: Es konnte sich nicht durchsetzen und wurde kurze Zeit später durch neue elektronische Medien wie Internet überholt. So gibt es viele Erfindungen, die sich nie durchgesetzt haben oder sogar von Anfang an als Betrugsmanöver geplant waren, um Anderen vorzuspiegeln, sie könnten hier großen Reichtum erwerben: Die frühneuzeitlichen Alchemisten, die vorgaben, Gold auf chemischem Wege herstellen zu können, sind das beste Beispiel. Herrscher, die neuen Erfindungen sehr aufgeschlossen waren (z.B. Friedrich der Große) waren von etlichen Adjutanten umgeben, die es als eine ihrer wesentlichen Aufgaben ansahen, potentiellen Erfindern den Weg zum Herrscher im Interesse des Staates zu verwehren.

Ab etwa 1900 erkannte die Obrigkeit indessen, daß das Automobil eine nützliche Erfindung sei: Automobile wurden für den eigenen Marstall beschafft, ebenso in den Armeen der einzelnen Staaten Versuche angestellt, wie man das Automobil für den Militärgebrauch nutzbar machen könne. Prinz Heinrich, Bruder des Deutschen Kaisers und sehr früh begeisterter Kraftfahrer und einer der ersten Flugzeugpiloten, gilt als Erfinder des  Scheibenwischers. Seit 1910 war das deutsche Große Hauptquartier die erste voll motorisierte Einheit des Deutschen Heeres. Dies alles wäre nicht möglich gewesen, wäre der Automobilismus nicht auf höchster Ebene gefördert worden.

Auch andere staatliche Institutionen wie etwa die Feuerwehr wurden zunehmend mit Automobilen ausgerüstet. Besitzer eines Automobils zu sein, gehörte spätestens ab etwa 1905 für eine gewisse Oberschicht zum Leben dazu. Soweit der österreichische Kaiser Franz Josef erst 1909 ein eigenes Automobil besaß, darf nicht übersehen werden, daß dieser Monarch damals bereits 79 Jahre alt war und –wie generell alte Menschen- grundsätzlich eine  Abneigung gegen Neuerungen hatte.

Wenn es gleichwohl von staatlicher Seite Eingriffe gab, die von Automobilfahrern als ungerechtfertigt empfunden wurden, so ist dies auf den Einfluß breiter Volksschichten zurückzuführen, die sich durch den Lärm, aber auch den Gestank, den das Automobil verbreitete, zu Unrecht gestört fühlten. Hierbei hat sicher auch der Neid, daß man selber finanziell nicht in der Lage war, sich ein derartiges Fortbewegungsmittel zu leisten, eine nicht  unerhebliche Rolle gespielt.

Diese Bevölkerungsschichten fanden in der niederen Verwaltung willige Vollstrecker ihrer Wünsche und Vorstellungen. Dies ging so weit, daß es Gegenden gab, in denen jeglicher Automobilverkehr polizeilich verboten wurde. Besonders in der Schweiz, die sich rühmt, eine der ältesten bestehenden Republiken der Welt zu sein (und die daher vom Volkswillen besonders abhängig war), tat man sich hier hervor: Im Kanton Graubünden wurde ein Verbot des Kraftfahrzeugverkehrs erst 1925 aufgehoben: Wer bis dahin mit einem Automobil den Kanton durchqueren wollte, mußte an der Kantonsgrenze (von geschäftstüchtigen Fuhrunternehmern selbstverständlich bereitgehaltene) Pferde oder Ochsen vor sein Auto spannen und sich so durch Graubünden ziehen lassen.

Der Automobilverkehr entwickelte sich überall auf der Welt – auch in den USA- in den Städten: Hier waren in ausreichendem Maße befestigte Straßen, hier gab es auch genügend Werkstätten, die ein liegengebliebenes Auto wieder flott machen konnten. Solange es noch keine überregionalen Kundendienste und Werksvertretungen gab, war in der jeweiligen Stadt auch häufig die Fabrik, die das Auto hergestellt hatte: Man wählte also die Marke seines Automobils oft aufgrund heimatnahen Firmensitzes aus. Dieses Käuferverhalten ist seither stark geschwunden, immerhin findet man auch heute noch in Frankreich überwiegend französische, in Italien überwiegend italienische und in Deutschland überwiegend deutsche Autos. Und die Marke BMW ist besonders stark in Bayern verbreitet.

Überregionalen Verkehr gab es damals kaum: Noch in den Zwanzigerjahren waren die Landstraßen so schlecht, daß beispielsweise eine Reise mit dem PKW von Leipzig in das rund 170 km entfernte Berlin 5 Stunden dauerte: Mit dem Zug war man also schneller.

 6.) Besonderheiten in den USA

In den USA setzte der eigenständige Automobilbau –wie eigentlich in allen damaligen Staaten der Welt mit Ausnahme Deutschlands und Frankreichs- erst um das Jahr 1895 ein. Die Automobilproduktion nahm dann aber in relativ wenigen Jahren einen geradezu kometenhaften Aufschwung: Bereits 1909 wurden in den USA 122.289 PKW produziert und damit doppelt so viele wie in der ganzen übrigen Welt zusammen.

Über die Ursache dieses Phänomens ist viel geschrieben worden – und damit wahrscheinlich auch viel Unfug: So soll sich darin die Fortschrittlichkeit der USA gegenüber dem rückständigen Europa zeigen. Wer indessen, statt Fakten zu schildern, nur mit Werturteilen wie „fortschrittlich“ und „rückständig“ arbeitet, macht sich grundsätzlich verdächtig, nicht als Historiker, sondern lediglich als Propagandist tätig zu sein.

Wir kommen der Sache näher, wenn wir als Vorgänger des Automobils das Pferd –als Reit- und Zugpferd- betrachten. Der damalige Pferdebestand der Welt ist im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1905 –also in den Kinderjahren des Automobils- veröffentlicht. Rechnet man ihn um auf die damalige Bevölkerung, so kommt in Deutschland, Frankreich und Österreich-Ungarn auf etwa 13 bis 14 Menschen ein Pferd, in Großbritannien (ohne Kolonien!) auf 20 Personen eines, in Italien auf 43 Personen, in den USA indessen entfällt auf 4,6 Personen ein Pferd. Dieser Pferdereichtum wird nur in Australien übertroffen: Dort teilen sich 2 Personen ein Pferd. Das Nächstliegende wäre es, hieraus auf einen besonderen Reichtum in den USA zu schließen. Wer dies ungeprüft tut, hat zu viele Courts-Mahler-Romane gelesen: In diesen Romanen kommt regelmäßig der reiche Erbonkel aus den USA, der dort seine Millionen gemacht hat, und bringt , wenn die Not der Liebenden am größten ist, ihnen das nötige Geld, um sie glücklich zu machen.

Indessen fällt anhand der gleichen oben zitierten Statistik auf, daß auch im europäischen Rußland auf 5-6 Personen ein Pferd kam, und auch in Bulgarien kam auf 7,5 Personen ein Pferd. Weder Rußland noch Bulgarien sind aber typische Herkunftsländer für reiche Erbonkel, insbesondere Bulgarien dürfte 1905 zu den ärmsten Ländern Europas gehört haben. Pferdereichtum hat also mit allgemeinem Wohlstand nichts zu tun.

Die Ursache des Pferdereichtums 1905 liegt also an anderer Stelle: Rußland, die USA, Australien und letztlich auch Bulgarien sind sehr dünn besiedelte Länder. Während im dicht besiedelten Mittel- und Westeuropa ab etwa 1850 ein immer dichteres Eisenbahnnetz dafür sorgte, daß Menschen problemlos weite Entfernungen überwinden konnten – 1905 gab es in Deutschland kaum noch eine Stelle, die weiter als 5 km von der nächsten Eisenbahn entfernt war- rentierte sich die Anlage von Eisenbahnstrecken in dünn besiedelten Gegenden nicht: Es wäre zu kostspielig und damit unwirtschaftlich gewesen, für diese wenigen Menschen ein engmaschiges Eisenbahnnetz zu bauen. Dort war man also auf andere Mittel angewiesen, wenn man die viel weiteren Entfernungen überwinden wollte.

Es ist also nicht der Reichtum, der den Menschen die Pferdehaltung ermöglichte, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit, die sie dazu zwang. In Zentraleuropa konnte man preiswert mit der Eisenbahn reisen und Güter transportieren und dementsprechend sein Vermögen in den Ausbau der eigenen Wohnstätte investieren, die in den USA häufig nur eine erbärmliche Bretterbude war: Die amerikanischen GIs  staunten 1945 nicht schlecht, als sie die reichen deutschen Bauernhöfe sahen: So etwas kannten sie aus ihrer Heimat nicht.

Infolgedessen waren es verkehrstechnisch-wirtschaftliche Gründe, die bereits vor 1900 den Amerikaner sich in viel größerem Maße als den West- und Mitteleuropäer an das Pferd als ursprüngliches Transportmittel des Individualverkehrs gewöhnen ließen.

Der Automobilverkehr entstand zunächst in den großen Städten. Dies muß auch in den USA so gewesen sein: Auf dem Lande war das Wegenetz für Automobile viel zu schlecht. Die amerikanische Stadt ist indessen völlig anders strukturiert als die europäische: Es gibt in der europäischen Stadt ein recht kleines mittelalterliches Zentrum, mit mehrgeschossigen Häusern bebaut. Um dieses Zentrum zieht ein größerer Ring von im 19. Jahrhundert entstandenen Wohn- und Kleingewerbegebieten, ebenfalls mit mehrgeschossigen Häusern. Jenseits dieses Ringes setzt irgendwann nach 1900 eine weitere Bebauung mit Einfamilienhäusern ein.

Die amerikanische Stadt indessen hat ein Zentrum, das bereits um 1900 mit sehr hohen Hochhäusern –„Wolkenkratzern“ – bebaut war. Rund um dieses Zentrum ziehen sich endlose Siedlungen mit Einfamilienhäusern, die im 19.Jahrhundert in Europa entstandene großflächige Mehrfamilienhausbebauung fehlt dagegen: So entnehmen wir dem Brockhaus von 1908, daß um 1900 z.B. Philadelphia bei damals etwa 1,4 Mio. Einwohnern 331 qkm umfaßte, New York mit 3,5 Mio. Einwohnern 770 qkm, Chikago mit 2 Mio. Einwohnern 494 qkm. Auf dem qkm der amerikanischen Großstadt lebten also im Schnitt etwa 5.000 Menschen.

Berlin hatte zur gleichen Zeit 2 Millionen Einwohner, umfaßte aber nur 63 qkm, also lebten auf einem qkm 31.746 Menschen, Paris hatte 78 qkm Fläche und 2,7 Mio. Einwohner, also 34.615 Menschen pro qkm. Die Großstädte waren also in Europa viel dichter besiedelt, es lohnte sich daher, für den Transport Straßenbahnen einzusetzen. In den weitläufigen amerikanischen Städten mit ihren riesigen Wohngebieten mit Einfamilienhäusern rentierten sich Massentransportmittel wie Straßenbahnen dagegen nicht. Wer hier die zwangsläufig viel größeren Strecken zum Stadtzentrum zurücklegen wollte, mußte sich also ein Pferd halten. Für ihn war das Auto schnell eine preisgünstige Alternative, da es im Gegensatz zum Pferd nur dann „Nahrung“ (nämlich Treibstoff) brauchte, wenn es tatsächlich bewegt wurde – ein Umstand, auf den die Automobilindustrie bald werbend hinwies. Hinzu kam, daß Pferdefutter viel voluminöser war als Benzin, ein Auto keinen Mist produzierte, der wieder irgendwohin entsorgt werden mußte, und daß Erdöl in den USA in großen Mengen vorhanden war, während es in Europa aus dem Ausland importiert werden mußte.

So fiel der Umstieg vom Pferd auf das Auto in den USA leichter. Der dann einsetzende Effekt: Das Auto wird in größeren Stückzahlen hergestellt, je größer die Stückzahl, desto geringer die Kosten für das Einzelstück, je geringer die Kosten des Einzelstücks, umso mehr Käufer, desto mehr Käufer, umso größer wieder die Stückzahl – ist in zahlreichen Werken bereits beschrieben, sodaß hier nicht mehr darauf eingegangen werden braucht.

Bemerkenswert ist lediglich, daß es Henry Ford schon sehr früh – nämlich 1907 – bereits gelungen ist, mit dem Model T ein Auto zu schaffen, das von derart hoher Qualität war, daß es zwanzig Jahre lang unverändert gebaut werden konnte, und damit auch qualitativ europäischen Autos häufig überlegen war – selbst wenn dies natürlich die Automobilwerke in Europa heftigst bestritten. Er hat das wohl unter anderem dadurch geschafft, daß er ein Auto mit recht großem Hubraum (2,9 Liter) und dafür recht geringer Leistung (20 PS) schuf. In Europa wurde zur gleichen Zeit (um 1907) allenthalben eine recht hohe Kraftfahrzeugsteuer eingeführt, die sich nach dem Hubraum des zu besteuernden Fahrzeugs (in Großbritannien nur nach der Bohrung) bemaß. Das führte dazu, daß die europäischen Hersteller bestrebt waren, Autos mit möglichst kleinem und damit steuergünstigem Motor anzubieten. Diese kleinen Motoren gerieten natürlich viel früher an ihre Leistungsgrenzen als die großen amerikanischen und waren deshalb schneller verschlissen.

7.) Lastkraftwagen:

Die ersten Automobile dienten ausschließlich der Personenbeförderung: Zum einen war die Leistung der Motoren derart gering, daß sie insbesondere größere Lasten nicht transportieren konnten. Zum zweiten setzt der Lastentransport eine gewisse Zuverlässigkeit voraus: Wer Lasten transportiert, tut dies häufig im Rahmen eines Gewerbes: Er will einem Kunden Waren bringen oder sie von dort holen. Die damaligen Autos waren aber derart unzuverlässig, daß jegliches Einhalten eines Liefer- und Abholtermins bei Benutzung eines Automobils Glückssache war. Zum dritten betrug die Leistung der damaligen Motoren nur wenige PS, große Lasten von über zwei Tonnen waren daher mit Motorkraft nicht zu bewältigen, damit bestand gegenüber dem Pferdezug auch hier kein Vorteil.

Wann der erste Lastwagen gebaut wurde, ist strittig und ohnehin nur schwer festzustellen: Die Grenzen zwischen Wagen zur Personen- und zur Lastenbeförderung sind fließend, zumal sich vor dem ersten Weltkrieg diese beiden Arten des Kraftwagens nur durch den Aufbau unterschieden. Der Aufbau wurde aber häufig nicht durch den Hersteller von Motor und Fahrgestell, sondern durch eine gesonderte Karosseriefirma hergestellt und konnte auch später geändert werden. Angesichts der geringen Motorleistung waren die ersten Lastwagen, die irgendwann zwischen 1890 und 1900 erschienen, ohnehin allenfalls als Lieferwagen zu klassifizieren.

Die technische Voraussetzung für den Bau von größeren Lastkraftwagen war erst gegeben, als es 1901 gelang, Motoren von 30 bis 40 PS Dauerleistung zu entwickeln. Jetzt begann sich auch das Militär der größeren Staaten für die neue Technik zu interessieren: Man suchte nach Transportmitteln, um die fechtende Truppe vorwärts der Eisenbahnen versorgen zu können, und hier faßte ein Lastzug mit Anhänger etwa 7 Tonnen, also so viel wie etwa 10 zweispännige Pferdefuhrwerke.

Da indessen die Beschaffung eigener Lastkraftwagen zu teuer war und im übrigen die Entwicklung derart schnell verlief, daß man erwarten konnte, daß die beschafften LKW in wenigen Jahren veraltet wären, beschloß man allenthalben, Zivilunternehmer zum Kauf von Lastkraftwagen zu animieren, indem der Staat den Erwerb bestimmter auch für das Militär geeigneter Typen mit Zuschüssen unterstützte. Derartige „Subventions-LKW“ (kurz: „Sub-Typen“) gab es in fast allen Staaten vor dem ersten Weltkrieg, im Deutschen Reich seit 1908, das von da an jährlich den Kauf von knapp 200 Lastzügen subventionierte.

Zahlenmäßig spielten die LKW im Zeitraum 1900 bis 1914 kaum eine Rolle. Die USA und Deutschland sind die einzigen Länder, die in dieser Zeit bereits statistische Erhebungen zur Kraftfahrzeugproduktion machten. In Deutschland betrug der LKW-Anteil an der Produktion 1901 ganze 5%, kletterte dann von 1903-12 auf im Schnitt 10% und lag 1913 bei 19%, in den USA in der gleichen Zeit bei 2-3% der Fertigung (in den Zwanziger- und Dreißigerjahren waren etwa 20 bis 30% der jährlich produzierten Kraftfahrzeuge LKW, in Rußland und Japan lag der Anteil noch erheblich darüber).

Grundsätzlich sind zu den Lastkraftwagen erheblich weniger Fakten überliefert als zu Personenwagen: Der Lastkraftwagen war ein reiner Gebrauchsgegenstand, der, wenn sich sein Unterhalt nicht mehr rentierte, weggeworfen wurde. Sein Unterhalt erforderte erheblich höheren Aufwand. Eigentümer waren häufig größere Betriebe, ein irgendwie geartetes persönliches Verhältnis zwischen Fahrzeug und Fahrer, das dafür sorgte, daß das Fahrzeug dem Fahrer ans Herz wuchs und er es infolgedessen nicht wegwarf, entstand nicht.

Vielfach waren Lastwagen für den Kunden, der sie für einen ganz bestimmten Zweck brauchte, individuell hergestellt, lassen sich also nur ganz schwer irgendeinem Typ zuordnen. Innerhalb der Typen gibt es häufig eine ungeheure Vielzahl von Varianten (unterschiedliche Nutzlasten, Radstände, Motoren, Aufbauten, die alle miteinander kombinierbar sind), was bisweilen zu einer völligen Unübersichtlichkeit führt.

8.) Gesamtproduktion bis 1914:

Die Automobilproduktion der frühen Jahre zahlenmäßig zu erfassen, ist bislang nur für einzelne Länder versucht worden. Hier soll der Versuch einer Zusammenstellung der Ergebnisse meiner Untersuchungen vorgenommen werden:

Automobilproduktion bis 1914:
Jahr USA F GB D I CDN B ÖU CH
1885 1
1886 3
1887 1
1888 2
1889 4 4
1890 1 10
1891 15 15
1892 70 20
1893 1 150 30 2
1894 250 80 5
1895 20 400 3 150 5 3 1 10
1896 40 600 10 250 10 7 5 20
1897 60 1.000 50 350 20 1 25 9 40
1898 239 1.500 100 550 75 3 100 15 80
1899 500 2.400 200 800 80 5 300 25 120
1900 936 4.800 400 850 130 10 600 50 150
1901 4.000 7.600 1.000 845 230 10 1.000 80 150
1902 9.000 11.000 1.800 900 300 15 1.500 100 200
1903 11.235 14.100 3.500 1.310 600 20 1.500 130 300
1904 21.692 16.900 3.500 2.300 1.160 20 1.700 180 400
1905 24.250 20.500 4.500 3.300 1.950 250 2.300 220 500
1906 40.000 24.400 8.500 4.866 3.500 300 2.600 400 600
1907 43.000 25.200 12.000 4.617 3.700 500 3.000 700 650
1908 80.000 25.000 10.500 5.054 3.500 700 3.500 800 850
1909 122.289 34.000 11.000 8.723 4.200 1.200 3.700 1.100 900
1910 181.000 38.000 14.000 11.992 4.300 3.200 3.800 1.400 1.100
1911 199.319 40.000 19.000 15.027 6.200 5.200 4.300 1.800 1.500
1912 352.000 41.000 23.200 20.132 7.000 8.300 4.900 2.000 1.500
1913 461.500 45.000 34.000 17.162 7.000 13.000 7.000 2.900 1.500
1914 543.679 45.000 34.000 17.300 8.000 18.000 4.500 2.900 1.500
2.184.428 376.390 181.263 116.644 51.960 50.734 46.335 14.815 12.077

Erläuterungen: Kursiv gedruckte Zahlen sind Schätzungen, klein und kursiv gedruckte sind durch mich vorgenommene Schätzungen.

USA: Die Zahlen entstammen verschiedenen Quellen, deren letztliche Herkunft unklar ist.

Frankreich: Die Schätzungen entstammen Laux, In first Gear S.210, für 1896 und 1897 hat er allerdings definitiv zu niedrig geschätzt, weil ihm wohl die Zahl der tatsächlich von Panhard gefertigten Fahrzeuge unbekannt war. Hier habe ich die Zahlen von Laux durch eigene Zahlen ersetzt. Es gibt auch andere Zahlen, die aber meines Erachtens deutlich überhöht sind: Möglicherweise wurden hier Motorräder hinzugezählt.

Großbritannien: Die Zahlen ab 1906 entstammen Wyatt, The Austin S.283,  für die Zeit vor 1906 habe ich eigene Schätzungen vorgenommen.

Deutschland: Für 1901, 1903 und 1906-13 sind es offizielle Erhebungen, die anderen Zahlen wurden von mir geschätzt. Vor 1890 gab es nur die Firmen Daimler und Benz, deren jeweilige Jahresproduktion überliefert ist, sodaß für diese Zeit auch fixe Zahlen vorliegen.

Italien: Sämtliche Zahlen sind eigene Schätzungen, die mir vorliegenden „offiziellen“ Zahlen der ANFIA sind falsch; sie betreffen wahrscheinlich nicht die Produktion, sondern die Zulassung in Italien für den Straßenverkehr.

Kanada: Sämtliche Zahlen sind eigene Schätzungen. Indessen sind die meisten Marken zahlenmäßig in dem Standardwerk: Dumford, Hugh und Baechler, Glenn: „Cars of Canada“  erfaßt, die Zahl der Marken, die eine unbekannte Anzahl von Fahrzeugen herstellten, ist sehr gering, die Schätzungen sind also auf 1-2% genau.

Belgien: Sämtliche Zahlen sind eigene Schätzungen. Auch hier ist durch das Buch von Kupelian/Sirtaine: „Grand livre de’l Automobile Belge“ mir eine Schätzung der Jahresproduktion der meisten Marken möglich geworden, durch Zugabe von etwa 50% (bis 1903) und danach etwa 30%, später 20% für zahlenmäßig nicht bezifferbare Produktion andrer Marken kommt man in etwa auf die hier angegebenen Zahlen, die bei einer Schwankungsbreite von 10% den tatsächlichen entsprechen dürften.

Österreich Ungarn: Sämtliche Zahlen sind eigene Schätzungen. Auch hier liegt zumindest von den großen Firmen genügend Literatur mit Produktionszahlen vor, sodaß nur die Produktion der kleineren Firmen offen ist. Diese habe ich ähnlich wie für Belgien mit in den ersten Jahren 50%, später auf 20% der Gesamtfertigung sinkend, geschätzt.

Schweiz: Hier umfaßt die geschätzte Produktion auch LKW. Nach Auswertung der Hauptquelle (Schmied, Ernst, Schweizer Autos, Genf 1978) errechnen sich, wenn man vorgeht wie bei Belgien, die von mir geschätzten Zahlen.

Die Automobilproduktion aller übrigen Staaten vor 1914 war völlig unbedeutend:
Die Niederlande produzierten im gesamten Zeitraum wohl etwas über 2.000 PKW, Spanien ca.1.400 Autos, Rußland etwa 800 Stück und Schweden etwa 300 PKW (vgl. im übrigen die Tabellen der einzelnen Länder).