Großbritannien – Allgemeine Einführung
Die englische Automobilproduktion entwickelte sich –im Vergleich zu Deutschland und Frankreich- recht spät und war bis etwa 1905 relativ unbedeutend. Als Grund hierfür werden in der Literatur der Entwicklung des Automobils hinderliche Gesetze genannt. Daneben hat aber sicher auch das sehr gut ausgebaute Eisenbahnnetz eine frühe Automobilproduktion in größerem Stil verhindert. Seit etwa 1906 überholte indessen die britische Automobilproduktion die deutsche, blieb jedoch hinter der französischen weiterhin zurück.
Eine Blütezeit der Automobilproduktion entwickelte sich in Großbritannien erst in den Zwanzigerjahren, ab 1926 verdrängte Großbritannien Frankreich von Platz 2 der automobilproduzierenden Länder und hielt ihn bis Ende der Fünfzigerjahre, um ihn dann an Deutschland abzugeben.
Auffällig ist, daß die Traktoren-Produktion ab etwa 1924 fast völlig aufhörte und sich ab 1929 quasi auf die Marke Fordson beschränkte, die über 95% der britischen Traktoren bis 1945 produzierte. Offenbar war der Bedarf an Traktoren in Großbritannien durch die Lieferungen im und nach dem ersten Weltkrieg bis auf Weiteres gedeckt, und in Übersee (Austr., Neuseeld. u.a.) konnten sich die britischen Produkte gegenüber der billigeren amerikanischen Konkurrenz nicht durchsetzen. Dies änderte sich erst nach 1945.
Statistisch ist die Kraftfahrzeug-Produktion erst ab 1923 von staatlicher Seite erfaßt worden, sodaß für die Zeit davor nur -häufig stark differierende- Schätzungen vorliegen. Für die Jahre 1927-34 umfaßt die angegebene Jahresproduktion nach Baldwin bzw. Vanderveen den Zeitraum Sept. bis Sept., also etwa den der Modelljahres-Produktion.
Da viele englische Firmen ihre Statistiken nach Modelljahren gliedern und dieses häufig am 1.8. oder 1.9. begann, fällt der Beginn des Modelljahres 1940 (1.9.39) bei etlichen Firmen in etwa mit dem Kriegsbeginn zusammen. Aus den einzelnen Firmenchroniken ergibt sich, daß keinesfalls zu Kriegsbeginn alle PKW-Produktion aufhörte, sie zog sich (wenn auch in sehr geringen Stückzahlen und auf wenige Typen beschränkt) teilweise durch den ganzen Krieg hin, um den auch im Kriege vorhandenen nichtmilitärischen Bedarf zu decken.
Die Daten sind in 8 Tabellen aufgeteilt:
– PKW bis 1918: Typen fast vollsändig erfaßt, nur wenig Produktionszahlen
– LKW bis 1918: zumindest bezüglich der einzelnen Typen noch sehr lückenhaft
– Sonstige bis 1918: teilweise lückenhaft
– PKW ab 1919: Typen wohl vollständig erfaßt, Produktionszahlen fehlen teilweise
– LKW ab 1919: noch sehr lückenhaft
– Sonstige ab 1919: Ackerschlepper, Pflüge, Kettenschlepper, sonstige Zugmaschinen
– Militärfahrzeuge 1916-45: Panzer, Panzerspähwagen, militärisch genutzte Voll- und Halbkettenfahrzeuge
– PKW 1945-68
Kritik: Es fällt auf, daß die Zahlen der produzierten PKW, wie sie sich durch Addition der einzelnen Typen und Marken jährlich errechnet, regelmäßig mindestens ca.10% über der Zahl der in offiziellen Statistiken angegebenen PKW liegt. Dies mag damit zusammenhängen, daß in Großbritannien (und ähnlich in den USA) nicht zwischen PKW und LKW, sondern zwischen „personal cars“ und „commercial cars“ unterschieden wird. „Commercial car“ ist hierbei alles, was gewerblichen Zwecken dient, also auch auf PKW-Fahrgestellen montierte Lieferwagen, ferner Kranken-, Leichenwagen etc., aber auch Taxis. Heute stehen dem Historiker, der eine Werksmonographie schreibt, meist nur noch die Fahrgestellnummern zur Verfügung, in denen natürlich nicht zwischen privat und gewerblich genutztem Fahrzeug unterschieden wird. Daneben fällt insbesondere Anfang der Zwanzigerjahre eine große Differenz zwischen den offiziellen Angaben und den sich durch Addition der einzelnen Modelle ergebenden Zahlen auf. Von letzteren stammen viele aus Nick Baldwins „A-Z of Cars of the 20s“ und beruhen auf Schätzungen des Autors. Von Baldwin wird in späteren Publikationen vielfach hemmungslos abgeschrieben. Ob hier Baldwin und andere zu hoch geschätzt haben oder die Summe der gebauten Kraftfahrzeuge ist zu niedrig angesetzt ist, vermsag ich nicht zu entscheiden.
Quellen:
Culshaw, David & Horrobin, Peter: The complete catalogue of British Cars, New York 1974 (CH): Ist eine gute Zusammenstellung der von jeder britischen Marke gebauten PKW (bis 1973), zu allen Typen liegen umfangreiche technische Daten vor, jedoch fast keine Stückzahlen, sodaß offenbleibt, ob es sich um Prototypen oder um in Großserie gefertigte Fahrzeuge handelt.
Geary, Les: Commercial Vehicles in Great Britain, Isleworth 1979 (Geary) Zusammenstellungder Historie von 50 britischen LKW-Firmen. Nur wenige Zahlenangaben. Wo spezielle Firmenliteratur fehlt, ist das Buch gleichwohl eine Hilfe.
Montagu of Beaulieu, Lord: Lost causes of Motoring, London 1966 (MLC): Zusammenstellung diverser Firmengeschichten 1960 nicht mehr existenter PKW-Hersteller
Stevens-Stratten, S.W.: British Lorries since 1900, Hersham, Surrey 2001 (St.Str.) Überblick über die geläufigen brit. LKW-Marken, Typenübersichten etc. fehlen. Entspricht etwa dem (älteren) Werk von Geary, ersteres ist etwas ausführlicher.
Grace’s Guide to British Industrial History: Eine Seite, auf der alle(?) Industrieunternehmen in Großbritannien mit einer Firmengeschichte und teilweise ihren Produkten vorgestellt werden. Die Seite enthält daher auch zu Kraftfahrzeugherstellern teilweise interessante Informationen. Besonders empfehlenswert sind folgende Seiten:
– https://www.gracesguide.co.uk/1914_Motor_Car_Red_Book:_Cars
– https://www.gracesguide.co.uk/1917_Motor,_Marine_and_Aircraft_Red_Book:_Cars
– https://www.gracesguide.co.uk/1920_Motor,_Marine_and_Aircraft_Red_Book:_Cars
Clubseiten verschiedener britischer Automobilclubs (Verzeichnis unter http://www.valentineswax.com/car-club-links.htm) erwiesen sich als von sehr unterschiedlicher Qualität: Insbesondere die Seiten von Luxusmarken mit hohem Sozialprestige hatten häufig nicht einmal eine Liste der gebauten Modelle geschweige denn technische Daten oder gar Stückzahlen.